- "Je größer das Territorium, umso geringer das
Konfliktpotential"?? Viele erhoffen sich von der Aufhebung der
nationalstaatlichen Grenzen eine Verringerung der Kriegsgefahren. So warnt z.B.
Axel Troost von der Memorandumgruppe, zu befürchten sei (bei Rückkehr zur
Nationalstaatlichkeit), "dass nationalistische Kräfte weiter Auftrieb
erhalten und Europa eine Neuauflage von Konflikten erlebt, die nach dem 2.
Weltkrieg überwunden schienen."
Die Theorie, dass der Ausschluss nationaler Rivalitäten die
Welt friedlicher mache, wird jedoch von den Tatsachen widerlegt: Seit 1945
erleben wir mehr Kriege auf der Welt als je zuvor, und die allermeisten sind
Konflikte nicht zwischen verschiedenen Nationen, sondern Machtkämpfe zwischen Clans,
Klassen, Stämmen, Religionsgruppen, die von "der
Weltgemeinschaft" angeheizt,
aufgerüstet und ausgenutzt werden - einschließlich der ach so friedlichen EU!
Der Beitritt südosteuropäischer Länder zur EU wurde erst nach der kriegerischen
Zerschlagung Jugoslawiens, auch auf deutsches Betreiben, mit deutschen Bombern
möglich.
- "Die Globalisierung hat die Souveränität der Nationen
auf den Misthaufen der Geschichte geworfen"?? Damit fallen Linke auf den
trügerischen neoliberalen Konsens herein, dass die wirtschaftliche und
finanzielle Internationalisierung – das, was wir heute
"Globalisierung" nennen – die Staaten gegenüber "den
Märkten" machtlos gemacht habe und wir daher keine andere Wahl hätten, als
auf nationale Strategien zu verzichten. Bestenfalls bliebe die Hoffnung auf
transnationale oder supranationale Formen der Vergemeinschaftung.
Dazu nochmals Axel Troost: "Die Befürworter einer
Renationalisierung überschätzen die Spielräume nationalstaatlicher Politik. Vor
dem Hintergrund freier Kapital- und Warenströme sowie einer gemeinsamen Währung
können nationale Regierungen in den zentralen Feldern der Wirtschafts-, Sozial-
und Lohnpolitik keine progressive Politik im nationalen Alleingang
durchhalten." Und Bernd Riexinger, Co-Vorsitzender der LINKEN: "Ein
‚Sozialstaat in einem Land‘ ist aber auf Dauer kaum möglich..." - Beweis? Subjektive
Daumenpeilungen. Tatsächlich hat noch kein Mitgliedsstaat der EU die
wirtschafts- und sozialpolitische Gesetzgebungshoheit aufgegeben.
- Die Kehrseite dessen sind illusionäre Hoffnungen auf eine
sinnvolle Veränderung dadurch, dass die Länder ihre Souveränität
"bündeln" und auf supranationale Institutionen übertragen. Dazu
Troost: "Was aber im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass eine enge
Zusammenarbeit der zwei / drei größten Volkswirtschaften (Deutschland, Frankreich,
Italien) nicht neue Handlungsspielräume schaffen könnte."
Dagegen spricht: Viele Aspekte z.B. des Manifests von Jeremy
Corbyn (Labour-party, GB) – wie die Renationalisierung von Post-, Eisenbahn-
und Energieunternehmen, nationale Kapitalverkehrskontrollen usw. – würden mit
Sicherheit von der EU-Kommission und dem Europäischen Gerichtshof verboten
werden. Nicht zuletzt wurde die EU ja genau mit der Absicht gegründet, solche
"radikalen" Politiken zu verhindern. Folglich könnte eine
progressive Regierung ein sozialistisches Programm nur außerhalb der EU
umsetzen.
- Illusionen darüber, die EU könne demokratisiert werden.
Dazu Katja Kipping (Co-Vorsitzende der LINKEN): Sahra Wagenknecht habe zwar
recht, wenn sie das neoliberale Diktat der Euro-Gruppe (gegen Griechenland) kritisierte.
"Aber diese neoliberale Politik ist ja nicht im Euro festgeschrieben,
sondern letztlich ein Ergebnis der politischen Kräfteverhältnisse in
Europa."
Die Tatsachen: Der einheitliche Binnenmarkt bildete ein
entscheidendes Motiv bei der Ausformung der EU-Bürokratie und ebnete den Weg
für den Vertrag von Maastricht, der den Neoliberalismus in der Struktur der
Europäischen Union festschrieb. Der Maastricht-Vertrag schafft de facto eine
supranationale Verfassungsordnung, die die Macht gewählter Regierungen
aushebelt. (Der englische Völkerrechtler Alec Stone Sweet bezeichnete das als
einen "juristischen Staatsstreich".) Daher ist es unmöglich, den
Binnenmarkt vom antidemokratischen Wesen der Europäischen Union zu trennen:
seinem strukturell verankerten neoliberalen, bürokratischen und neokolonialen
Charakter, der beherrschenden wirtschaftlichen und folglich politischen Macht
seines größten Mitglieds Deutschland und den katastrophalen sozialen und
wirtschaftlichen Auswirkungen.
- Trügerischer Glaube auch von Linken an den wirtschaftsliberalen
Mythos, dass "offene Marktwirtschaften" und internationaler Handel
Wohlstand nicht nur für Minderheiten, sondern für ganz Europa bringen.
Illusion, die EU und der Euro könnten den Reichtum gerecht verteilen.
- Unbewiesene Kassandrarufe über die katastrophalen
wirtschaftlichen Folgen des Auseinanderbrechens der Währungsunion. Troost:
"Eine Rückkehr zu nationalen Währungen – die radikalste Variante einer
Renationalisierung – ist keine wünschenswerte politische Option. Dieser Weg
würde mit dramatischen ökonomischen und sozialen Verwerfungen
einhergehen." Und Bernd Riexinger: "Die Auflösung der Eurozone und
die Rückkehr zu nationalen Währungen wären mit einem länger anhaltenden
Krisenprozess mit unklarem Ausgang verbunden." - Was ist schlimmer, Pest
oder Cholera?
- Die allergrößte Illusion scheint mir aber,
ausgerechnet in Deutschland sei ein politisches Kräfteverhältnis (Mehrheit) gegen die
Übermacht der Exportwirtschaft hinzukriegen - jedenfalls in einem für den Fortbestand
der EU entscheidenden Zeitrahmen. Troost: "Notwendig ist ein Mix von
Wachstumsanreizen über öffentliche Investitionen und Sanierungsmaßnahmen für
die öffentlichen Finanzen durch eine sozialgerechtere Steuerpolitik... Es geht
um Eingriffe in die Verteilungsverhältnisse... Europa braucht Strukturreformen,
aber eben nicht so wie es die Verfechter einer Konsolidierungspolitik
fordern... Es geht letztlich um eine steuerfinanzierte Ausgabenpolitik."
Fromme Wünsche. Mit wem will er sie durchsetzen in diesem
Land, das unter "Reformen“ versteht, ganz Europa die "schwarze
Null" und die Schuldenbremse aufzudrücken?
Ähnlich lauten die Reformforderungen des linken Mainstreams
schon Jahrzehnte lang. Da sie heute so wenig Gehör finden wie eh und je in der
EU, bleibt der linken Europa-Begeisterung nur das Pathos der „europäischen
Idee“. Und das tönt, wie peinlich, fast wortgleich wie die Beschwörungsformeln,
mit denen ein anderer soeben sein Scheitern am brachialen deutsch-nationalen
Power-play kaschiert – Macron.
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